Unverhofft

Ein Besucher unserer Website stieß auf den Beitrag „ Göttingen- das Sibirien Norddeutschlands“ und schrieb uns, dass er in den 1970er Jahren eine Seminararbeit über fast das gleiche Gebiet gemacht hat. Dabei hat er über 40.000 Einzelwerte aus 3 Wetterstationen: Geographisches Institut, Büsgenweg, und Sender Nikolausberg ausgewertet und dazu noch eigene Messungen vorgenommen. Er hat uns aufgrund unserer Bitte sofort die Arbeit zugeschickt und uns die Erlaubnis gegeben, Abbildungen aus seiner Arbeit für die Veröffentlichung auf unserer Website zu überlassen. Die einzige Einschränkung für die Veröffentlichung war jedoch, dass wir seinen Namen nicht nennen sollten. Wir kommen dieser Bitte natürlich nach, finden es aber Schade, da es sich in unseren Augen um eine sehr gelungene Arbeit handelt.

Vielen Dank dafür!

Hier nun die wesentlichen Ergebnisse seiner Arbeit:

Ungefähre Lage der beiden Wetterstationen während des Untersuchungszeitraums
3D

Die Station Geographisches Institut  lag  in einer Höhe von 168m ü. NN im Mündungsbereiches des Luttertales in das Leinetal (Übergangsbereich Luttertal-Leinesenke) etwa 70m westlich  vom heutigen Institut für Geowissenschaften       (vgl. Photo I).

GI

Die Wetterstation Nikolausberg lag in einer Entfernung (2,8 km Luftlinie) auf der Nikolausberger Hochebene in einer Höhe von 349m ü. NN, 181 Meter höher als die Station Geographisches Institut (vgl. Photo II).

Niko

Die Station Büsgenweg lag auf ca. 240m ü NN im Hangbereich  der Universität Göttingen (Nord). Die Stationen werden heutzutage nicht mehr betrieben. Der Untersuchungszeitraum war von Oktober 1977 bis Februar 1978.

 Folgende Eigenarten des reliefgebundenen Kleinklimas konnten mit Messungen belegt werden:

Bei Wetterlagen mit Hochdruckwetter und schwachen Winden, stellen sich vermehrt lokale Windsysteme (Berg- und Talwinde) ein: Tagsüber bei Sonneneinstrahlung gibt es Bergaufwinde, weil sich die sonnenexponierten Talhänge stärker erwärmen als die Hochflächen. Es entsteht an den Hängen durch Erwärmung ein relativ niedrigerer Luftdruck, der durch  einen durch das Tal hinaufwehenden Wind ausgeglichen wird, weil auch gleichzeitig der Talboden wärmer ist als die Hochfläche.  Nachts bei klarem Himmel und ohne Gradientwinde hingegen entwickeln sich lokale Hangabwinde, weil auf der Hochfläche die Luft aufgrund des geringeren Wasserdampfpolsters (hier: 181m geringer mächtig!) stärker auskühlen kann und die relativ kältere Luft langsam dem Gefälle nach ins Luttertal (Hangabwinde) strömt, weil sie pro Volumeneinheit schwerer ist: Folge sind inverse Temperaturverteilungen zwischen  der Hochebene und dem Luttertal (vgl. Abbildung unten) in den Nachtstunden, d.h. über dem Talboden ist es kälter als über der Hochfläche in 2m Höhe (siehe Abb. unten ).
hangwinde
Besonders gut kann man dies auf der Abbildung (unten) bei den Minimaltemperaturen  erkennen. So gab es z.B.  im Oktober 1977 in 15 Nächten inverse Temperaturverläufe zwischen dem Luttertal und der Nikolausberger Hochfläche. Im Februar waren es 11 Nächte. Die größte Differenz der Minimalwerte der nächtlichen Temperatur (invers) wurde am 21. Februar mit -4°C in 2m Höhe gemessen (vgl. Abb 7a). Außerhalb dieser Messreihen wurden bereits Inversionswerte von über  -10°C in 2m Höhe zwischen diesen beiden Stationen gemessen .
200
Auf dem Photo von der Nikolausberger Hochfläche (Bornberg, ohne Datumsangabe) zeigt sich  die flache Kaltluftschicht über dem Acker, die durch Nebelbildung sichtbar wurde.
nebel

Interessant ist auch zu wissen, wie die Luft bodennah ins Tal „fließt“.

Man kann mit viel Glück  solche Kaltluftabflüsse entdecken, wenn man nachts mit der Taschenlampe über einen mit langstieligem Weidegras bewachsenen Hang geht. Man sieht hier - linear verlaufend und eng begrenzt -  pulsierende Bewegungen der Halme. Diese besondere Art des Abfließens konnte auch gemessen werden:

Kalt

Es lassen sich bei diesem Beispiel etwa drei im Kurvenverlauf ähnlich verlaufende Abschnitte feststellen, die zeitlich jedoch variieren.

 

I.

    0 Sek.     -      110 Sek.

= 110 Sek.

II.

110 Sek.     -      190 Sek.

=   80 Sek.

III.

190 Sek.     -      245 Sek.

=   55 Sek.

Zuerst erfolgte vom Minimalwert ein leichter Temperaturanstieg, der in eine Verflachung bzw. in ein Absinken übergeht, um dann nochmals anzusteigen und hier die höchsten Werte zu erreichen. Danach setzt das Absinken zum Minimalwert wieder ein. Dieser pulsierende Kaltluftfluss wurde bei Voruntersuchungen am 25.02.76 in 1m Höhe in der Nähe des Fußgängerweges zum Klausberg gemessen. Kommt die Kaltluft am Talboden an, staut sie sich vor Hindernissen (Talverengungen, Gebäude, Gebüsche, Baumgruppen etc.) talwärts. Es kommt zu sogenannten Kaltluftseen. Sie können im Luttertal vertikale Ausmaße von über 50 Höhenmetern haben. Die untersten Bereiche dieser Kaltluftseen wurden ebenfalls in dieser Untersuchung kartiert und orientieren sich in ihrem Verlauf an dem Relief des Luttertales (vgl. Abb.11).

Kaltluftsee

Doch, welchen Nutzen haben nun die ausgewerteten Messungen?

Im Einflussbereich der Kaltluftseen des Luttertales liegt zu großen Teilen der neue Botanische Garten der Universität Göttingen. Bei der Zuweisung spezieller Pflanzengesellschaften müssen die Gestalter des Gartens die spezifischen Eigenarten des Mikroklimas berücksichtigen: Frostgefährdete Pflanzen müssen einen Standort oberhalb der Kaltluftseen bekommen.

Auch die Vegetationsdauer ist hier zu berücksichtigen, wie dies am Beispiel der einsetzenden Forsythienblüte in verschiedenen Höhenlagen in einer Voruntersuchung gut zu sehen ist:  Auf der Nikolausberger Hochfläche steht der Forsythienstrauch bereits in voller Blüte, während zeitgleich auf dem Talboden des Luttertales  der Forsythienstrauch erst die Entwicklungsphase der Frühblüte erreicht hat.

1a
1b
Anmerkung: Ein Problem bei diesem phänologischen Vergleich könnte sein, dass  diese Pflanzen die Forsythia x intermedia (Garten-Forsythie) und/oder Forsythia viridissima (Grüne Forsythie) sind (vgl. Vorschriften und Betriebsunterlagen für die phänologischen Beobachter des Deutschen Wetterdienstes,VuB 17, Ausgabejahr 2015, S.33 /34), die für diese Vergleiche vom DWD nicht zugelassen sind. Da sie aber erst ab den 1990er Jahren in den Gärten gepflanzt wurden und der Untersuchungszeitraum schon 1976/1977 war, ist die  Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass es sich um eine gängige Sorte der F. supensa nämlich die Fortunei handelt, die für phänologische Vergleiche zugelassen ist.


Des Weiteren ist es für die Verkehrsteilnehmer (hier vor allem auf der B27) wichtig zu wissen, dass es in diesem Straßenabschnitt vermehrt zu Nebelneigung und Straßenglätte kommen kann.
   

Mit Hilfe dieser Arbeit ist es uns nun gelungen, eine umfassende Ergänzung zu unseren Erkenntnissen über die Inversionstätigkeit in bodennahen Luftschichten zwischen der Hochebene des Göttinger Waldes und dem Lutter- / Leinetal zu bekommen.

                 Nochmals herzlichen Dank dafür!
siehe auch
Klick

zusammengestellt von Erhard L., November 2016